Forschungsfrage

Lernziele

Am Beginn jeder empirischen Studie steht eine Forschungsfrage. Jede Entscheidung, die wir im Laufe des Forschungsprozesses treffen, orientiert sich an der Forschungsfrage. Sie leitet unser Forschungsprojekt an.

In diesem Teil zeigen wir Ihnen:

  • was die Hauptbestandteile einer Forschungsfrage sind 
  • wie eine passende qualitativen Forschungsfrage entwickelt werden kann.
Im Verlauf einer qualitativen empirischen Untersuchung können Forschungsfragen verfeinert und auch reformuliert werden!

GRUNDLAGEN: HAUPTMERKMALE EINER FORSCHUNGSFRAGE

Bei der Formulierung einer Forschungsfrage sind folgende Merkmale zu beachten:

  1. Das Thema kommt aus der Praxis oder der Theorie und kann eine Idee, ein Konzept oder ein theoretisches Konstrukt sein.
  2. Die Eingrenzung kann sich auf einen geografischen Rahmen (z.B. Österreich), eine bestimmte Branche (Industrieunternehmen, Pflegebereich) oder eine bestimmte Zielgruppe beziehen.
  3. Es lassen sich 5 Fragetypen unterscheiden (siehe Tabelle)
Fragetyp
Leitfrage
Beispiel qualitative Forschung
Beschreibung
Was ist der Fall? Wie sieht die „Realität“ aus?
Wie werden Personalentwicklungsmaßnahmen von älteren Arbeitnehmer_innen wahrgenommen?
Erklärung
Warum ist etwas der Fall?
Warum werden welche Personalentwicklungsmaßnahmen von älteren Arbeitnehmer_innen in Anspruch genommen und warum nicht?
Prognose
Wie wird etwas zukünftig aussehen?
Welche Veränderungen wer­den eintreten?
Wie werden sich die Personalentwicklungs­maßnahmen von älteren Arbeitnehmer_innen im Zuge der Digitalisierung verändern?
Welche Folgen haben die Personalentwicklungsmaßnahmen für ältere Arbeitnehmer_innen für alle anderen Mitarbeiter_innen in den Unternehmen?
Gestaltung
Welche Maßnahmen sind geeignet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen?
Welche Personalentwicklungsmaßnahmen in der Industrie sind geeignet, um die Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer_innen zu erhalten?
Kritik/ Bewer­tung
Wie ist ein bestimmter Zu­stand vor dem Hintergrund explizit genannter Kriterien zu bewerten?
Wie ist die Personalentwicklung von älteren Arbeitnehmer_innen im Hinblick auf Chancen­gleichheit im Unternehmen zu bewerten?

Quelle: angelehnt an:  Nienhüser & Magnus, 2003

Jetzt sind Sie dran: Formulieren Sie eine Forschungsfrage

Verfolgen Sie den Prozess: Entscheiden Sie an den Kreuzungen und sehen Sie, welche Forschungsfrage am Ende entsteht! (Bearbeitungszeit: ca. 5 Minuten)

DO’S:

  • „Wie“ und „warum“ sind gute Fragewörter für qualitative Forschungsfragen.
  • Zur Eingrenzung einer „alten“ Forschungsfrage neue Aspekte hinzufügen (z.B. eine neue Idee dazu kombinieren).
  • Kernkonzepte müssen eindeutig und wissenschaftlich definiert werden (Operationalisierung der Begriffe).
  • Die Forschungsfrage im Laufe der Studie, wenn erforderlich, auch noch einmal ändern!

DONT’S:

  • Forschungsfragen, die mit „ist“, „welchen Einfluss“ und „welche Wirkung …“ formuliert sind, sind meistens besser mit quantitativen Forschungsmethoden beantwortbar.
  • Die Forschungsfrage zu breit formulieren.
  • Themen aus der Praxis ohne Sichtung der wissenschaftlichen Literatur verwenden.
  • Neue Erkenntnisse nach der Literaturrecherche oder methodische Anpassungen ignorieren!

Literatur

Flick, Uwe (2014). Sozialforschung, Methoden und Anwendungen; ein Überblick für die BA-Studiengänge. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Flick, Uwe (2016). Qualitative Sozialforschung: eine Einführung (7.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Online

Nienhüser, Werner/Magnus, Marcel (2003). Die wissenschaftliche Bearbeitung personalwirtschaftlicher Problemstellungen. Eine Einführung. Essener Beiträge zur Personalforschung, 2. 

Triangulation

 „Triangulation beinhaltet die Einnahme unterschiedlicher Perspektiven auf einen untersuchten Gegenstand oder allgemeiner: bei der Beantwortung von Forschungsfragen. Diese Perspektiven können sich in unterschiedlichen Methoden, die angewandt werden, und/oder unterschiedlichen gewählten theoretischen Zugängen konkretisieren, wobei beides wiederum mit einander in Zusammenhang steht bzw. verknüpft werden sollte. Weiterhin bezieht sie sich auf die Kombination unterschiedlicher Datensorten jeweils vor dem Hintergrund der auf die Daten jeweils eingenommenen theoretischen Perspektiven. Diese Perspektiven sollten so weit als möglich gleichberechtigt und gleichermaßen konsequent behandelt und umgesetzt werden. Durch die Triangulation (etwa verschiedener Methoden oder verschiedener Datensorten) sollte ein prinzipieller Erkenntniszuwachs möglich sein, dass also bspw. Erkenntnisse auf unterschiedlichen Ebenen gewonnen werden, die damit weiter reichen, als es mit einem Zugang möglich wäre.“ (Flick, 2011, S.12)

Flick, Uwe. (2011) Triangulation. 3., Aktualisierte Auflage ed. Wiesbaden: VS Verlag Für Sozialwissenschaften.

Flexibilität

Aufgrund der Elastizität und Flexibilität werden qualitative Verfahren gelegentlich als weiche Methoden im Gegensatz zu den harten oder starren quantitativen Methoden bezeichnet. Häufig wurde dies auch im Sinne einer geringeren Gültigkeit oder Qualität der qualitativen Verfahren missverstanden.

Auch die/der qualitative bzw. explorative Forscher/in führt eine Untersuchung nicht plan- und richtungslos durch, sondern es bedeutet, dass der Blickwinkel zunächst weit ist und erst im Verlauf der Untersuchung fortschreitend zugespitzt wird.

Reflexivität von Gegenstand und Analyse

In interpretativen Prozessen wird den Bedeutungen von menschlichem Verhalten eine prinzipielle Reflexivität unterstellt. Dies gilt sowohl für sprachliches (Symbole, Deutungen, Sprechakte) als auch für nonverbales Verhalten (Gesten, Handlungen usw.).

Da jede Bedeutung reflexiv auf das Ganze verweist, wird die Bedeutung eines Handelns oder eines sprachlichen Ausdrucks nur durch den Rekurs auf den symbolischen oder sozialen Kontext seiner Erscheinung verständlich. Im Sinne der hermeneutischen Zirkularität von Sinnzuweisung und Sinnverstehen setzt somit ein Verständnis der Einzelakte bzw. des Verhaltens immer ein Verständnis des Kontextes voraus.

Die Reflexivität der Methode setzt daher auch eine reflektierte Einstellung der/des Forschenden sowie die Anpassungsfähigkeit seiner Untersuchungsmethoden und -instrumente voraus.

ZIRKULARITÄT DES FORSCHUNGSPROZESSES

Der Forschungsprozess in der qualitativen Sozialforschung ist zirkulär. Damit ist gemeint, dass eine bestimmte Folge von Forschungsschritten mehrmals durchlaufen wird, und der jeweils nächste Schritt von den Ergebnissen des jeweils vorherigen Schrittes abhängt. Es werden zunächst nur wenige nächste Schritte geplant, weil jeder der Forschungsschritte Konsequenzen nach vorne (für das weitere Vorgehen) und nach hinten (Modifikation der Fragestellung) haben kann. Das bedeutet, dass alle Entscheidungen (Erhebungsverfahren, Samplingentscheidungen, Auswertungsverfahren, etc.) vorläufig getroffen werden. Zu Beginn der Forschung liegt nur ein ungefähres Vorverständnis über den Forschungsgegenstand vor. Auf dieser Basis werden zunächst nur wenige nächste Schritte geplant.

Offenheit

Das Prinzip der Offenheit bedeutet Offenheit der Forschenden gegenüber

  1. den Untersuchungspersonen,
  2. den Untersuchungssituationen und
  3. den Untersuchungsmethoden. 


Qualitative Sozialforschung versteht sich im Gegensatz zur quantitativen Vorgehensweise nicht als Hypothesen prüfendes, sondern als Hypothesen generierendes Verfahren. Qualitativ Forschende versuchen also nicht Theorien, Konzepte oder Ideen an der Wirklichkeit zu bestätigen oder zu widerlegen, sondern Neues zu entdecken. Der Hypothesenentwicklungsprozess wird bei der Anwendung qualitativer Verfahren damit erst zu Ende des Forschungsvorhabens abgeschlossen. Die Forschenden sollen daher so offen wie möglich gegenüber neuen Entwicklungen sein, damit diese auch in die Hypothesengenerierung einfließen können.

Die Forschenden sollen offen für mögliches Neues sein und sich nach Möglichkeit auch nicht vorab informieren, d.h. sehr bewusst mit einer naiven Haltung ins Feld gehen.